Das Reizdarmsyndrom ist eine gastroenterologische Erkrankung unbekannter Ursache mit einer Verbreitung von 12–25% innerhalb der bundesdeutschen Bevölkerung. Obwohl dieses Beschwerdebild ihre seine Erwähnung bei Hippokrates (also vor 3000 Jahren!) fanden, bestehen auch aktuell noch immer Schwierigkeiten bei der Diagnose und Therapie dieser häufig chronifizierten Erkrankung.
Symptome: Mal mehr, mal weniger, mal alles, mal nichts.
Die Symptome des Reizdarmsyndroms sind bunt und individuell unterschiedlich. In der Regel klagen die Patienten über Änderungen der Stuhlfrequenz (häufig in Richtung Durchfall), massive Blähungen und Abgang übelriechender Winde, diffuse Schmerzen im Bauchraum und auch Schwäche als Folge der gestörten Verdauung. Einig sind sich aber alle darüber, daß Darmentleerung Linderung verschafft. Die Beschwerden treten nicht dauerhaft und mit wechselnder Frequenz und Schwere auf – häufig über Jahre bis Jahrzehnte.
Es lassen sich grob drei Typen von Reizdarm-Syndromen unterscheiden: das, bei dem Verstopfung (Obstipations-Typ), Durchfall (Diarrhö-Typ) oder Blähungen (Schmerz-Flatulenz-Typ) im Vordergrund stehen.
Die Diagnose Reizdarm-Syndrom ist eine sogenannte Ausschlußdiagnose, sie wird erst nach Vorliegen bestimmter Kriterien (u.a. ROM-II-Kriterien) und einer bildgebenden Untersuchung wie bspw. der Koloskopie und ggf. auch einer Biopsie von Darmschleimhaut gestellt. Das ist auch sinnvoll, da sich hinter diffusen Verdauungsbeschwerden auch bösartige Neubildungen, Infektionskrankheiten, Autoimmunerkrankungen und vieles mehr verbergen können.
Zukünftig Laborkriterien zur Diagnose des Reizdarmsyndroms?
Aktuell wird an verlässlichen diagnostischen Kriterien geforscht, sogenannten Biomarkern, die mittels einer (Blut-)Laboruntersuchung konkret ein Reizdarmsyndrom diagnostizieren lassen oder nicht. Momentan liegen diese aber noch nicht belastbar vor. Es lassen sich zwar mannigfaltige Veränderungen der Darmschleimhäute, der bakteriellen Besiedlung und strukturelle wie auch molekulare Änderungen beim Reizdarmsyndrom feststellen (Übersicht u.a. bei [1]), diese Befunde sind aktuell noch nicht systematisiert, bzw. ausreichend erforscht.
Leider besteht in vielen Therapeutenköpfen noch die alte Lehrmeinung, daß ein Reizdarmsyndrom ausschließlich psychosomatisch bedingt ist. Man unterscheidet hier zwischen organischen (also irgendwie messbaren) und funktionellen (nicht messbaren) Erkrankungen, wobei letzteren häufig der Geruch der Einbildung oder Hysterie anhängt. Weder Beschwerden noch Patienten werden hier richtig ernst genommen. So kommt es dann auch bei vielen Betroffenen zu einem jahrelangen Diagnosemarathon, der anamnestisch immer wieder ergibt, daß zwar rein körperlich keine krankhafte Veränderung messbar ist, trotzdem aber ein massiver Leidensdruck besteht.
Dies erstaunt nicht nur die Professoren Dr. Frieling und Dr. Schemann, die einen aktuellen Übersichtsartikel über das Reizdarmsyndrom in der Fachzeitschrift »Der Gastroenterologe« (5/2013, S. 405–415, [1]) publiziert haben:
»Trotz ihrer erheblichen klinischen und sozioökonomischen Bedeutung, werden Diagnostik und Therapie funktioneller Verdauungserkrankungen in den Vergütungssystemen des Deutschen Gesundheitswesens immer noch unzureichend abgebildet.« Das deutsche Gesundheitssystem kennt aber einen Zusammenhang zwischen der Vergütung von Diagnose und Therapie durch die gesetzlichen Krankenkassen und den Stellenwert der Krankheit, um einmal leicht polemisch zu werden.
Die beiden Professoren fassen ihren Artikel zusammen: »Das RDS [Reizdarmsyndrom, MF] ist eine organische Erkrankung mit vielen Untergruppen, die jetzt pathophysiologisch eindeutig charakterisiert werden können.«
Eine weitere Rolle bei der Verschleierung der Beschwerden mag eine mediale sein: In der Werbung finden sich häufig Produkte, die bei angenommener Laktoseintoleranz oder Glutenunverträglichkeit, ein besseres Leben und Linderung ermöglichen sollen. Was stimmen mag, nur ist bei den meisten Nutzern solcher Produkte niemals eine aussagekräftige Diagnostik gemacht worden und der Grund für die Beschwerden ist wahrscheinlich ein anderer. Es ist zwar ein anderes Thema, aber ich kann nur noch einmal betonen: Ausschlaggebend gerade bei diffusen Erkrankungen, Intoleranzen, Unverträglichkeiten und Allergien sollten belastbare Laborbefunde in Verbindung mit tatsächlichen Beschwerden sein und nicht Fragebögen aus Lifestylemagazinen, Produktwerbung oder Informationen aus dem Internet!
Physiologisches
Der Körper beinhaltet ein zentrales Nervensystem (ZNS), vom Gehirn ausgehend, und ein enterisches Nervensystem (ENS), das sogenannte Bauchhirn. Zwischen dem ENS und dem ZNS gibt es über den Nervus Vagus eine direkte Verbindung, die sogenannte »Brain-Gut-Axis«. Und wir alle kennen es, wenn uns »etwas auf den Magen schlägt« sich »der Bauch vor Angst zusammenzieht« oder die »Schmetterlinge im Bauch flattern«. Die Rolle des ENS und die Effekte seines Zusammenspiels mit dem ZNS für Körper, Geist und Gesundheit wird in der Naturwissenschaft gerade erst entschlüsselt. Ein schönes Essay finden Sie hier: http://flexikon.doccheck.com/de/FlexiEssay:Bauchgehirn.
Interessant ist, daß die Forschung eben diesen durch die Naturheilkunde schon lange angenommenen Zusammenhang zwischen Kopfhirn und Bauchhirn, also auch zwischen Veränderungen im Darm und psychischen Beschwerden nach und nach bestätigt, bzw. überhaupt diskutiert (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24370461, http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24286462, http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24118847) – und so den ganzheitlichen Blick auf den Menschen rechtfertigt. Dabei handelt es sich ja nicht um Esoterik, sondern um eine in der Regel solide und ausführliche Ananmese.
Naturheilkunde Behandlungsmöglichkeiten
Mikrobiologische Therapie
Eine naturheilkundliche Behandlungsstrategie des Reizdamrmsyndroms besteht in meiner Praxis aus der Mikrobiologischen Therapie. Vor Behandlungsbeginn wird eine Stuhlprobe laborchemisch auf die bakterielle Besiedlung untersucht und ein Therapieschema entwickelt.
Moderne Forschungsansätze untersuchen die nachgewiesene Veränderung der mikrobiellen Flora bei Darmerkrankungen (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23886861, http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23964766). In der Praxis ist zu beobachten, daß die eine Behandlung mit probiotischen Bakterienpräparaten die Beschwerden mittel- bis langfristig bessert.
Ein dauerhaftes Reizdarmsyndrom kann möglicherweise durch die Erhöhung der Schleimhautdurchlässigkeit (sog. »Leaky Gut-Syndrom«) tatsächlich zu chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und der Entwicklung von Allergien beitragen – hier kann die Arbeit mit Probiotika präventiv sein (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22955358). Bestimmte Lebensmittel verschlimmern vielleicht die Beschwerden – hier muß individuell nach der Rolle der Ernährung geschaut werden.
Phytotherapie
Weiterhin wird mit Phytotherapeutika gearbeitet, hier vor allem mit entzündungshemmenden, schmerzlindernden und verdauungsregulierenden Pflanzen wie u.a. Kamille, Fenchel,Anis, Pfefferminze, Schöllkraut, Mariendistel und Johanniskraut. Diese gibt es in bewährten Kombipräparaten.
Bei Durchfallbeschwerden wird in der Regel Heilerde verordnet, die aufgrund ihrer hohen Bindungskapazität dafür sorgen kann, daß sich die Stuhlkonsistenz wieder festigt.
Orthomolekulare Konzepte
Nicht nur nach jahrelangen Verdauungsbeschwerden sollte auch ein Blick auf die Versorgung des Patienten mit und den aktuellen Status von Mineralstoffen, Spurenelementen und Vitaminen geworfen und dort ggf. orthomolekular substituiert werden.
Ordnungstherapie
Eine weitere Säule der naturheilkundlichen Behandlung ist die Ordnungstherapie, bei der der Patient zur Selbstbeobachtung (neudeutsch »Achtsamkeit«) anleitet – das Reizdarmsyndrom hat tatsächlich eine psychische Komponente. In der Regel verschlimmern sich die Beschwerden massiv bei Stress, was auch physiologisch über das oben kurz angerissene Modell von ENS und ZNS (sog. »Brain-Gut-Axis«, s.o.) erklärbar ist.
Ein Entspannungsverfahren bringt dauerhaft Ruhe ins Leben, erhöht die Stresstoleranz und kann ebenfalls dazu beitragen, daß das Wohlbefinden steigt. Auch chiropraktische Behandlungen der Lenden- und Brustwirbelsäule, Kneippanwendungen, Leibwickel und sportliche Betätigung als Teil der Lebensstruktur können gute Erfolge zeitigen.
Chiropraktik
Der Bauchraum wird auch über Nerven versorgt, die aus der Wirbelsäule austreten. Vor allem im Brust- und Lendenwirbelbereich können aus chiropraktischer Sicht Subluxationen mitverantwortlich oder erhaltend sein.
Sie haben Fragen oder möchten einen Termin vereinbaren? Sprechen Sie mich gerne unverbindlich an.
Mario Filsinger, HP
Quellen (neben den direkt im Text verlinkten):
[1] Frieling, T. , Schemann, M.: Reizdarmsyndrom–Epidemiologie und Pathophysiologie, Der Gastroenterologe 05/2013, S. 405–416, Springer Verlag, 2013
Bierbach, E.: Naturheilpraxis Heute, 2. Auflage 2002, Urban & Fischer Verlag
Bierbach, E., Herzog, M. (Hrsg.): Handbuch Naturheilpraxis, 1. Auflage 2005, Elsevier Verlag
Bäumler, S.: Heilpflanzen Praxis Heute, 1. Auflage 2007, Elsevier Verlag
Kasper, H.: Ernährungsmedizin und Diätetik, 11. Auflage 2009, Elsevier Verlag