Zum Inhalt springen

Osteopathie vs. Chiropraktik | Der vitalistische Ansatz

Es ist ein Zeitphänomen, dass Trennendes betont oder falls es nicht wirklich vorhanden ist, einfach erfunden wird. Wir sehen das gesamtgesellschaftlich schmerzlich an den sogenannten Wutbürgern und Organisationen wie PEGIDA.

Auch im therapeutischen Bereich gibt es mannigfalte Kräfte, die Zwist säen statt an Gemeinsamkeiten zu arbeiten – man könnte finanzielle Interessen, Langeweile und/oder den Drang nach Profilierung vermuten. Mir fällt das manchmal auf in Gesprächen zwischen „Osteopathen“ und „Chiropraktikern“. Beide werfen sich vor, „Knochensetzer“ oder „Knochenbrecher“ zu sein und neben brachialen Manipulationstechniken über keinerlei oder nur rudimentäre philosophische Konzepte zu verfügen.

Betrachtet man die Entstehungszeit beider Richtungen, dann landet man in den USA des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Dort entwickeln Palmer und Still Chiropraktik und Osteopathie relativ zeitgleich und wenn man es von der Warte einiger Behandlungstechniken aus betrachtet, mit sehr ähnlichen Vorgehensweisen. Das Ende des 19. Jahrhunderts ist geistesgeschichtlich schon von der Auseinandersetzung zwischen den Folgen der Industrialisierung und den wachsenden Lebensreformbewegungen gekennzeichnet. Dies schlägt sich in vielen komplementärmedizinischen Konzepten aus dieser Zeit wieder. Sie kennen vielleicht Pfarrer Kneipp oder den sogenannten Lehmpastor?

Chiropraktik und Osteopathie streben nach der Optimierung der Adaption an Umweltreize, der Selbstheilungskräfte und Gesundheit von innen. Beide arbeiten körperbetont, ohne Medikamente und Operationen. Chiropraktik vertraut dabei fast ausschließlich auf ein funktionierendes Nervensystem, während die Osteopathie auf die optimale Zirkulation von Blut und Lymphe setzt. Chiropraktik behandelt Subluxationen, Osteopathie Dysfunktionen. Diese Lebenskräfte heißen in Chiropraktistan „innate intelligence“ und in Osteopathien „breath of life“. Deshalb sind traditonelle Chiropraktik und Osteopathie immer vitalistisch und behandeln immer den ganzen Menschen statt einzelner Symptome.

Beiden Richtungen ist zu eigen, dass sie den Menschen nicht als eine maschinenähnliche Körperkonstruktion mit angeschlossenem Hauptcomputer (Gehirn) sehen, die im Problemfall Symptome erzeugt. Beide sehen den Menschen als Wunder an Selbstorganisation, welches alle Mittel an Bord hat, sich selbst gesund und froh zu erhalten. Diese Bordmittel können aufgrund von Umwelteinflüssen, Lebensführung oder Erkrankungen eingeschränkt sein. Die Behandlung mit Chiropraktik oder Osteopathie soll diese wieder zu optimalen Entfaltung bringen.

Es ist sehr wirklich sehr kleinteilig, beide Verfahren voneinander trennen zu wollen und es ist meiner bescheidenen Meinung nach auch für nichts und niemanden förderlich, dies fortzusetzen.

Erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts kam es in den USA zu einer massiven Auseinanderentwicklung beider Richtungen. Die osteopathischen Fachverbände konnten eine Anerkennung des us-amerikanischen Osteopathie-Studiums als ärztliche Approbation durchsetzen und haben sich damit in Teilen von ihren Wurzeln entfernt. Das chiropraktische Establishment konnte oder wollte das nicht und sieht sich seitdem als einzig wahren Vertreter der nicht-medikamentösen, nicht-invasiven Komplementärmedizin.

In Deutschland wird Chiropraktik fast ausschließlich auf Basis der Heilpraktikerzulassung ausgeübt. Osteopathie wurde bis 2015 aufgrund eines fehlerhaften Verständnisses der philosophischen Grundlagen als Erweiterung der Physiotherapie und als ausschließlich manualtherapeutisches Verfahren betrachtet. Erst ein Gerichtsurteil korrigierte das und verhalf damit der Osteopathie auch hier zu einer anderen, ich möchte sagen, erwachsenen Wahrnehmung. In den mir Ausbildungen wird Osteopathie aber hauptsächlich noch mit parietalem Schwerpunkt unterrichtet.

DIE Chiropraktik und Osteopathie gibt es übrigens nicht. Jeder Therapeut interpretiert die Verfahren anders und setzt eigene Schwerpunkte.

Wie erkennen sie seriöse Chiropraktiker und Osteopathen? Sie sind idealerweise Mitglieder in entsprechenden Berufsverbänden, bilden sich regelmäßig fort und führen ausführliche Anamnese- und Aufklärungsgespräche mit ihnen.

Ich hoffe, dass ich ihnen mit diesem zugegebenerweise sehr kurzen und subjektiven Artikel ein wenig helfen konnte.

Quellen und zum Weiterlesen:

Rob Sinnott: Textbook of Chiropractic Philosophy, Chiropractic Books 2009

Faulkner, Foley, Senzon: Palmer Chiropractic Green Books, The Institute Chiropractic 2018

https://hpo-osteopathie.de/osteopathie

WAS IST CHIROPRAKTIK?