Es passiert immer wieder, dass Menschen sich online einen Termin wegen Schmerzen buchen. Parallel dazu finden begrüßenswerterweise weitere Untersuchungen statt und dann wird der Aufnahmetermin hier abgesagt. Begründungen sind dann gerne: „Ich habe ein Schulterproblem, da helfen nur Physiotherapie und Stoßwelle“ oder „Meine Bandscheiben sind verrutscht, jemand muß sie nur an die richtige Stelle zurückschieben“ oder „Meine Hüfte ist schief, deshalb ist mein Zwerchfell verspannt und ich muß massiert werden“.
Aus chiropraktischer Sicht macht das nur bedingt Sinn. Von den physiologischen „Ideen“ der Schiefheit von Knochen und Hüften und verrutschten Bandscheiben mal abgesehen. Schmerzen im Bewegungsapparat: auf jeden Fall Physio mit dem Ziel, mittelfristig selber wieder in ausreichende Bewegung zu kommen. Manchmal braucht es zusätzlich auch Medikamente und vielleicht sogar operative Eingriffe.
Die vitalistische Chiropraktik repariert nichts und manipuliert nicht. Hier wird der Mensch nicht als abgenutztes Mängelwesen betrachtet, dass nur noch mit viel Werkstattaufwand gerade noch so die Arbeitsfähigkeits-Plakette bekommt. Es wird davon ausgegangen, dass viele schmerzhafte Veränderungen (bspw. Arthrosen, Tendinosen, Myogelosen, Cephalgien/Migräne,…) als eine Hauptkomponente in Entstehung und Erhaltung die Zeit haben. Zeit im Sinne einer längerfristig bestehenden (zentralen) Fehlsteuerung, die schmerzhafte und ggf. auch beschädigende Veränderungen mindestens begünstigt (das ist ein Element der für uns grundlegenden Subluxationstheorie).
Bei der sogenannten Kalkschulter oder dem Fersensporn baut der Körper bewegliche Bereiche unbeweglich(er) um. Dies geht in bestimmten Stadien auch mit Entzündungen und Schmerzen vor sich. Aus chiropraktischer Sicht würde ich fragen, warum das passiert. Eigentlich sollte es für das System Körper dazu keinen Grund geben. Wenn allerdings Muskulatur permanent (Zeit) an einer Struktur zieht (Kraft), dann führt das zu dauerhaftem Stress (letztendlich: Entzündung) in dieser Region. Die Gründe dafür können vielfältig sein: dauerhafte unangemessene Haltung (bspw. zuviel sitzen, Bildschirmarbeit), emotionaler Stress (Leben im Spätkapitalismus;)), entzündungsfördernde Ernährung, wenig sportlicher Ausgleich, wenig Schlaf.
Das System Körper kann gut einschätzen, dass dieses Verhalten (zuviel Kraft für zu lange an einem dafür ungeeigneten Ort) zu einer möglichen Abnutzung führt und stabilisiert die Strukturen durch Kalzifizierung und Muskelhartspann (Myogelosen). Nach dieser Sichtweise ist das sogar ein sinnvoller Schutzmechanismus, um den Körper vor weiteren Beschädigungen zu schützen. Der Preis sind Schmerzen und Bewegungseinschränkungen.
Chiropraktische Justierung können das nicht wirklich rückgängig machen. Das ist auch nicht das primäre Ziel, sondern eher eine gewollte und positive Nebenwirkung. Das Ziel ist eine bessere Kommunikation zwischen Gehirn und Körper. Dadurch soll das System Mensch mehr Möglichkeiten zur Adaption an äußere Umstände und mehr Möglichkeiten für eine gute Selbstregulation und Steuerung bekommen. Wenn das gut funktioniert, werden idealerweise Schmerzen weniger und die Bewegung besser.
Aber das braucht Zeit und Wiederholung. Eine Kalkschulter, eine kaputte Bandscheibe oder viele andere orthopädische Probleme sind wahrscheinlich über Jahre erarbeitet worden. Diese Probleme können nicht schnell (und manchmal leider gar nicht mehr) ohne weiteres rückgängig gemacht oder verbessert werden.
Die vitalistische Chiropraktik erklärt Schmerzen und Unwohlsein nicht über schiefe Knochen, verrutschte Bandscheiben oder verdrehte Becken. Für uns ist zentral die Verbesserung der Kommunikation zwischen Gehirn und Körper, in der das Potential für eine gute Selbstorganisation liegt.
Chiropraktik kann ein Baustein auf dem Weg der Heilung sein. Und je nachdem, an welchem Punkt sie gerade sein sollten, durchaus in Verbindung mit Medikamenten, Physiotherapie oder auch Chirurgie. Chiropraktik möchte dabei helfen, dass man seine Selbstverantwortung mittel- bis langfristig wieder besser wahrnehmen kann. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.